Männer­straf­gefängnis / Frauen­zucht­haus Anrath

Im Männerstrafgefängnis / Frauenzuchthaus in Anrath wurden missliebige Personen aus der Region und dem Ausland (Holland, Frankreich, Österreich, Polen, Russland …), also KPD- und SPD-Mitglieder, Kriegsgefangene, Fremdarbeiter, Juden,  überwiegend politische Gefangene, eingesperrt. Beispiele: Der Leiter des Krefelder Unterbezirks der KPD, Aurel Billstein; Gewerkschafter und SPD-Landtagsabgeordneter Fritz Lewerentz; die Nichte des französischen Außenministers und Résistance-Führers Georges Bidault. Die Gefangenen litten unter Hunger und Kälte, verheerenden Hygienemängeln, härtesten Strafen bei kleinen Verfehlungen. Einige verhungerten qualvoll (so der öster. Abt Bernhard Burgstaller,*14.2.1886,+1.11.1941, der bei seinem Tod weniger als 40 Kilo wog ), einige begingen Selbstmord oder starben an den Langzeitfolgen der Haftbedingungen (z.B. die Zisterzienser Leopold Haiberger -*25.10.1887,+6.4.1945- und Karl Reisinger -22.8.1892,+24.3.1953-). „Die Hölle von Anrath“. Todesurteile wurden dort nicht vollstreckt (aber Insassen zur Ermordung in die KZ oder z.B. nach Wien zurück geschickt, z.B. der Theologiestudent Hanns Georg von Heintschel-Heinegg,*5.9.1919, enthauptet am 5.12.1944 in Wien. Weitere Anrather Sträflinge wurden in Wien am 10.5.1944 enthauptet.). Gefangene wurden intern und extern zur Zwangsarbeit  eingesetzt.

Das „Weibergefängnis“ hieß ab 1926 „Frauengefängnis“, seit 1941 umbenannt in „Frauenzuchthaus“. Beide Anstalten waren vor der Nazi-Diktatur meist nicht vollständig belegt. Die durchschnittliche Belegung des Frauenhauses lag in den Jahren 1928 -29 bei etwa 100-120, die des Männerhauses bei 310-330. Im November 1933 betrug die Gesamtbelegung 1.040 Menschen, also mehr als das Doppelte. Mit Beginn des 2.Weltkriegs wurden die nach Auffassung der Nazis weniger Kriminellen aus der Haft entlassen und zum Militärdienst eingezogen. Die Belegung sank deshalb für beide Häuser vorübergehend auf ca. 500. Mit der Eroberung fremder Gebiete stieg die Zahl.1943 stellten Ausländer bereits die Mehrzahl der Belegung dar.Verurteilte kamen überwiegend aus den Niederlanden, Belgien und Polen, während Untersuchungs- und Schutzhäftlinge vornehmlich aus Frankreich und Österreich überstellt wurden.  Allein 1943 gab es nahezu 2.600 Neuzugänge. Die Gestapo verlegte daraufhin ständig Gefangene in andere Strafanstalten oder in KZ (bevorzugt Mauthausen, Auschwitz und Buchenwald). Einweisungen in Anrath erfolgten bis zum 9.2.1945.

Das Anrather Gefängnis unterhielt in organisatorischer Einheit mit der Krankenabteilung eine „Kriminalbiologische Forschungsstelle“, die bei der Durchführung des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ vom 14.7.1933 mitwirkte, sprich: der Antragstellung beim „Erbgesundheitsgericht“ Krefeld und der Überstellung von Insassen an für Kastrationen oder Sterilisationen vorgesehene Kliniken.

Leitungen

Leiter der Männeranstalt und des Frauenzuchthauses von 1939 bis 1945 war Regierungsrat Dr.Bodo Lothar Combrinck (*10.4.1903), Gartenstr.5 (später: Krefeld, Waldhofstr.178), Jurist, NSDAP-Mitglied und Absolvent der „NS-Ordensburg“ Vogelsang/Eifel. Ex-Häftling, der Wiener Kaplan Heinrich Zeder:“..ein ganz wüster, ein SS-Mann ersten Ranges,…, brutale Macht.“ Die Amerikaner nahmen am 17.4.1945 den nach dem Krieg unter falschem Namen („Kroenpring“) untergetauchten Combrinck fest und verurteilten ihn  zu einer Gefängnisstrafe von 2 Jahren. Am 20.3.1947   wurde er  aus der Haft (zuletzt in Dachau) entlassen. Am 12.3.1948 von den Engländern erneut in Haft genommen .Am 10.8.1948 Brief mit Bitte um Leumundszeugnis an den Bischof von Aachen, der im Sommer 1944 das Frauenzuchthaus besucht hatte.  Vom Militärgericht am 5.10.1948 verurteilt zu 1,5 Jahren Gefängnis. Haftantritt: 15.10.1948, „bedingte“ Entlassung am 4.10.1949.

Ein vom „Leiter der Zentralstelle im Lande Nordrhein-Westfalen für die Bearbeitung von nationalsozialistischen Massenverbrechen bei der Staatsanwaltschaft Dortmund“ erneut eingeleitetes Ermittlungsverfahren wegen Mordes bzw. Beihilfe zum Mord im Tatzeitraum 1941 bis 1945 (einem noch nicht abgeurteilten Tatkomplex) wurde gem. §170 Abs.2 StPO am 5.12.1990 eingestellt.

Combrinck arbeitete nach dem Krieg/nach Haftentlassung als Anwalt in Krefeld.

Der damalige Anstaltsarzt war seit 1937 und auch noch nach dem Krieg Medizinalrat Dr. Carl Thurn, Anrath, Gartenstr.7. Dr. Eugen Witte, Anrath, Neersenerstr 34,  in der Strafanstalt von 1938 bis 1946 als stellvertretender Anstaltsarzt tätig, Leiter des kath. Gemeindekrankenhauses, wurde am 31.7.1948 von den Engländern in Haft genommen. Von ihm in der Strafanstalt ausgestellte Todesbescheinigungen halten als Todesursache fest: Arteriosklerose, Blutsturz, Lungenentzündung. Er war ebenfalls (in Anrath) weiterhin ärztlich tätig.

Leiterin der Frauenabteilung war Regierungsrätin Dr.Paula Wirtz (*29.2.1904), NSDAP-Mitglied.

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Vor dem Einmarsch der Amerikaner saßen in der Anrather Strafanstalt 481 männliche Gefangene ein; davon 54 Wehrmachtshäftlinge, 129 Schutzhäftlinge und 298 Strafgefangene, wovon sich 168 auf Außenarbeitsstellen befanden.

Das Frauenhaus war mit 729 Zuchthausgefangenen belegt, wovon 462 Frauen auf 40 Außenarbeitsstellen verteilt waren. Arbeiten im Zuchthaus waren: Tätigkeiten in der Militärschneiderei der Anstalt, Stricken/Sticken, Nähen, Waschen. Außerhalb überwiegend in Industrieunternehmen. Nach Angaben von Combrinck kamen ca. 300 Frauen aus dem Ausland (Frankreich, Belgien, Luxemburg, Holland).

Die Insassen des Männerhauses produzierten Briefumschläge (Arbeitssoll: 1.600 Stück pro Person täglich) und Tarnmatten. Außerhalb der Strafanstalten wurde Zwangsarbeit auch in „Bauernkommandos“ verrichtet (z.B. Anbauen von Steckrüben in angetriebenem Tempo und knieend) sowie bei der Beseitigung von Fliegerschäden und bei der Bombenentschärfung („Himmelfahrtskommandos“).

Der Arbeitseinsatz aller Justizgefangenen wurde vom Reichsministerium zentral gelenkt. Dort existierte eine Kartei, die genaue und aktuell gehaltene Angaben über den beruflichen Werdegang, den Grad der Einsatzfähigkeit, die Einsatzmöglichkeit und den derzeitigen Einsatz der einzelnen Gefangenen enthielt. Diese wurden in Zusammenarbeit mit dem Reichsminister für Rüstung und Kriegsproduktion sowie den sonst für den Einsatz zuständigen Stellen eingesetzt. Ihr Arbeitseinsatz wurde ständig überprüft mit dem Ziel, sie weitestgehend für Fertigungen der höchsten Dringlichkeitsstufe zu verwenden. Reichsweit sind von März bis August 1944 über 24.000 Gefangene der Rüstungsindustrie zugeführt worden. 7.600 Sicherungsverwahrte („Unwertes Leben“) waren gezielt für härteste Arbeiten bei Mangelernährung vorgesehen, „Vernichtung durch Arbeit“.

Die Anrather Strafanstalt entsandte ZwangsarbeiterInnen in Außendienstarbeitsstellen der Firmen Rheinische Kunstseide AG, Krefeld-Linn; Kaisers-Kaffee-Geschäft, Viersen; Zuckerfabrik Pfeifer+Langen, Krefeld-Uerdingen; Vonken, St.Hubert; Schäfer, Viersen; Schages, Kaarst; Böhlerwerke, Heerdt; Plücken+Sturm, Neuss; Gebr. Wahlefeld, Krefeld-Linn; Stadt Kempen; Krücken, Krefeld; Schmitz+Co, Lank; IG Farben AG, Krefeld-Uerdingen .

Die letzten Monate und Tage des Krieges

Am 16.9.1944 erfolgte die Teilevakuierung des Frauenzuchthauses. Gefängnisunterlagen wurden größtenteils unmittelbar mit Einmarsch der Amerikaner am 1.3.1945 vernichtet, aber auch noch 1975. Krankenakten 1938-45 aus dem Männergefängnis und Urteile befinden sich im Landesarchiv in Duisburg.

Bei der hektischen Auflösung der Strafanstalten wurden viele Gefangene entlassen (267 Frauen, 32 Männer). Der Rest -281 (205?) Männer und 372 (422?) Frauen- musste in Richtung Krefeld marschieren. Vorher hatte man die 42 zum Tode verurteilten Wehrmachtsangehörigen in das Gefängnis Duisburg-Hamborn/per LKW nach Düsseldorf gebracht. Lediglich 12 Militärgefangene mussten im Treck mitmarschieren. Einige Gefangene flohen beim Marsch, 80 Frauen wurden laufen gelassen. 34 vorsichtig zu behandelnde Zivilgefangene (Persönlichkeiten aus den vormals besetzten Gebieten) wurden mit einem Firmenwagen der Rheinischen Kunstseide AG nach Düsseldorf gebracht. In Krefeld wurden der Gestapo 103 Schutzhäftlinge übergeben. Die restlichen 102 Männer mussten weiter nach Düsseldorf, wo weitere 67 entlassen wurden, so dass 67 verblieben, zu denen noch 109 Gefangene von den Anrather Außenarbeitsstellen gelangten. 12 Wehrmachtssträflinge wurden dem „Standortältesten“ in Düsseldorf übergeben. Die restlichen Gefangenen (160 Männer) kamen über Wuppertal zur Strafanstalt Remscheid- Lüttringhausen. – 68 weibliche Gefangene blieben in Krefeld wegen völliger Erschöpfung zurück, so dass in Düsseldorf 208 ankamen, die ebenfalls per Bahn über Wuppertal nach Lüttringhausen verbracht wurden.

Die Strafanstalt Anrath wurde am 2.3.1945 von den Amerikanern besetzt. Im Dienstwohngebäude Gartenstr.6 wurde die Kommandantur eingerichtet. Anstaltsmitarbeiter wurden überwiegend mehrmonatig in Belgien interniert, dann freigelassen und nach „Entnazifizierung“ wieder in Dienst genommen.

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