Bei den Opfern ist die Quellenlage sehr unterschiedlich: Während bei den jüdischen Mitbürgern auf jahrzehntelange Nachforschungen von Yad Vashem , dem Holocaust Museum in Washington und anderen zurückgegriffen werden kann, stellt sich dies etwa bei der Opfergruppe der Homosexuellen ungleich schwieriger dar, da es angesichts der Strafandrohung des (auch in der Bundesrepublik noch lange fortgeltenden ) §175 Strafgesetzbuch keine Namenslisten gab. Durcharbeiten der Geschichtsliteratur und der Entschädigungsakten fördern manchmal ganze Familiengeschichten zutage, oftmals aber leider nur ein paar spärliche Daten. So finden Sie (derzeit) vielfach nur Geburts- und Sterbedaten, bei entsprechender Erkenntnislage aber auch durchgängige Lebenswege, im Einzelfall untermauert mit Zeitzeugeninterviews.
Bei den „Tätern“, sprich den wenigen strafrechtlich Belangten, den vielen Verstrickten, den Profiteuren, den Mitläufern ist uns wichtig, nicht in Schwarz-Weiß-Bildern zu malen, wohlwissend dass es viele Grau-Schattierungen gab. Der junge Lehrer, der eine Familie zu ernähren hatte und aus objektiver oder auch nur subjektiv geglaubter Gefährdung seines Arbeitsplatzes in die NSDAP eingetreten ist, ist anders zu bewerten als der Aktivist, der über die bloße Parteizugehörigkeit hinaus gemordet, geprügelt, gebrandschatzt oder denunziert hat.
Da die Nachkriegsjustiz (Gerichte und Staatsanwaltschaften) in hohem Maße personenidentisch mit der des „Dritten Reichs“ war, erfolgte nur im Ausnahmefall eine strafrechtliche Verfolgung oder gar Verurteilung. Und spätestens 1958 saß dann ohnehin niemand mehr wegen in der Nazizeit begangener Greueltaten im Gefängnis. Dies in wenigen Fällen bei ehemaligen KZ-Wärtern auch heute noch nachzuholen, ist Aufgabe der Ermittlungsbehörden. Im Rahmen des Stadtrundgangs werden -wo vorhanden- in Archiven gelagerte Informationen präsentiert und die moralische Bewertung dem Betrachter überlassen.
Wir halten es für mitteilenswert, dass nach dem Krieg Überlebende oder Nachkommen von Verfolgten es oftmals schwer hatten, ihre Entschädigungsansprüche oder auch nur ihre Rehabilitation durchzusetzen, während „Täter“ meist völlig unbehelligt ihre Karriere und ihr bürgerliches Leben fortsetzen konnten hinauf bis zu ehemaligen Bundespräsidenten. Wussten Sie, dass in Viersen ehemalige (teilweise in Polen zum Tode verurteilte) KZ- Aufseher, an Unrechtsurteilen beteiligte Militärrichter etc. lebten? Kennen Sie den Ausgang des Gerichtsverfahrens, das in der Süchtelner „Königsburg“ im Juni 1950 vom Schwurgericht Mönchengladbach unter Vorsitz des Landgerichtsdirektors gegen 6 der Beteiligung am Synagogenbrand und massiver Körperverletzungen und Sachbeschädigungen bezichtigter Angeklagter durchgeführt wurde? Interessiert Sie der von der SS ermordete Kommunist Martin Wins, der in Viersen in einem sog. Ehrengrab liegt? Das Schicksal der Familie Sanders? „Euthanasie“ in Süchteln und Waldniel-Hostert und der weitere Weg des Mördergespanns Wesse/Wrona?
Der Stadtrundgang will keine gruselige Ballade erzählen. Er soll verdeutlichen, dass Opfer und „Täter“ Tür an Tür lebten, zusammen in Vereinen tätig waren. Wie konnte es dennoch zu Morden, Misshandlungen oder auch nur bloßem Wegschauen kommen? Welche Mechanismen befördern solche Verhaltensweisen? Wie begegnet man etwaigen Wiederholungen? Beginnt dies mit verbaler Aufrüstung, der Schmähung von Bevölkerungsgruppen?
Das ist das Gegenteil der früher gepflegten „Schlusstrich“-Debatte, sondern die Einladung zu weiterer Klärung. Nur wer seine (Stadt-)Geschichte kennt, kann hieraus lernen. Bitte unterstützen Sie uns mit Informationen, Namen, Adressen, die den Stadtrundgang komplettieren.