Unbesungene Helden - Die Eheleute Bochmann

Die Gedenkstätte für Holocaust und Heldentum (Yad Vashem) startete 1963 ein weltweites Projekt, die wenigen, die den Jüdinnen und Juden in den dunkelsten Stunden ihrer Geschichte zur Seite standen, mit dem Titel "Gerechter unter den Völkern" zu ehren. Die nachfolgende Geschichte aus Viersen beschreibt genau ein solch heldenhaftes Ehepaar.

Ein Zufallsfund

Im Juni 2019 staunte man in Süchteln auf der Ratsallee nicht schlecht, als man bei Bauarbeiten in ca. 1m Tiefe auf ein Betonfundament stieß: es handelte sich um die Decke eines Bunkers aus dem 2. Weltkrieg, verstärkt mit Krupp‘schen Eisenbahnschienen.

Nach ersten mühseligen Abbrucharbeiten mit schwerem Gerät zeigte sich in dem ca. 2 x 3 m großen Bunkerraum eine Stahltüre, an der im 90°-Winkel eine Treppe nach oben führte. Kabel und Schalter aus den 1930er Jahren kamen ans Tageslicht. Ringsherum war in Augenhöhe ein Streifen selbstleuchtender Farbe auf die Wand gemalt, der offenbar während eines möglichen Ausfalls der Beleuchtung zur Orientierung diente.

Hinter Ziegelsteinen im Bunker befand sich eine ungefähr 30m lange Betonröhre mit einem Durchmesser von mindestens 80cm – breit genug also, um im Falle einer polizeilichen Durchsuchung schnell hindurch zu kriechen. Die Röhre endet heute an der Ecke der Mauer zum ehemaligen evangelischen Friedhof Süchteln an der Merianstraße. Bis ca. 1970 war der gesamte hintere Teil des Grundstücks noch unbebaut und stand voller Obstbäume. Im vorderen Teil des Grundstücks stand ein altes Fabrikgebäude aus dem Jahre 1925 (siehe nachfolgendes Foto). Der Verdacht, dass hier ein heldenhafter Anwohner einen Schutzbunker mit Fluchtmöglichkeit für jüdische Mitbürger errichtete, erhärtete sich.

Das Gelände, so stellte sich schnell heraus, gehörte der Familie Bochmann. Wer waren die Bochmanns aber?

Die Geschichte der Bochmanns

Gertrud Neumeyer, geboren 1881 in Krefeld, heiratete 1905 auf dem Standesamt Krefeld-Mitte den 1883 ebenfalls in Krefeld geborenen Ludwig Bochmann. 1924 kauften sie in Süchteln an der Ratsallee (damals in der neu gebauten sog. Süchtelner „Neustadt“) mehrere Grundstücke. Auf dem einen, am heutigen Busbahnhof gelegen, ließen sie ihr Wohnhaus (Ratsallee 13) errichten und auf einem anderen großen Grundstück weiter hinten auf der Ratsallee (Hausnummer 33a) ein Fabrikgebäude. Der gelernte Chemiker-Kolorist Ludwig Bochmann meldete noch im selben Jahr dort ein Gewerbe für eine Textildruckerei an. Bochmann hatte zu dieser Zeit enge Kontakte zur Textilfachschule in Krefeld, wo er zeitweise auch unterrichtete. Befreundet war er mit Professor Peter Bertlings, der von 1943 bis 1948 die Leitung der Meisterschule für das gestaltende Handwerk in Krefeld inne hatte.

Die Firma Bochmann in Süchteln entwickelte sich im Laufe der Jahre so gut, dass sie zeitweise bis zu 70 Beschäftigte zählte. Das undatierte Foto zeigt die Belegschaft der Firma Bochmann. Laut einer Festschrift der Stadt Süchteln aus dem Jahr 1958 „[sind] Bochmann-Drucke auf Seiden und Samten […] überall bekannt“.

1928 starb ihr einziger Sohn. Das katholische Ehepaar Bochmann lebte zurückgezogen und unauffällig, aber beide galten als höflich und freundlich. Ludwig schenkte den Nachbarskindern oft Äpfel oder Birnen aus seinem Obstgarten und unterstützte die Witwen ehemaliger Freunde finanziell. Jeden Sonntag gab er am Fenster seines Hauses einem Waisenjungen Geld für das örtliche Kino. Nie drängten sie in die Öffentlichkeit oder prahlten mit dem Erreichten. Ludwig Bochmann verstarb 1957 im Alter von 74 Jahren in seiner Wohnung auf der Ratsallee 13. Seine Witwe Gertrud verkaufte daraufhin den Betrieb und lebte alleine in ihrem Haus, wo sie 1969 im Alter von 87 Jahren verstarb. Beide wurden auf dem neuen Teil des Hauptfriedhofs in Krefeld bestattet.

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Die Rettung des Fritz Leven

Familie Bochmann versteckte im eingangs erwähnten Bunker den Kaufmann Friedrich (genannt Fritz) Leven (geboren am 23.01.1889 in Krefeld) und seine Ehefrau Clara Leven (geb. Sillmanns) aus St. Hubert. Fritz Leven war von 1917 (nach der Entlassung aus dem Militärdienst) bis 1932 bei der Seidenweberei Elsberg und Gompertz beschäftigt, ab 1924 sogar als gleichberechtigter Mitinhaber. Seit 1933 litt er unter der allgemeinen Judenverfolgung und am 30. September 1938 musste er sein Geschäft in Krefeld schließen. Leven hatte von da an bis März 1942 keine Beschäftigung und kein Einkommen mehr. Bei einem Fliegerangriff auf Krefeld am 22. Juni 1943 wurde das Wohnhaus von Leven komplett zerstört und er verlor Hab und Gut.

Fritz Leven lebte als “privilegierter Jude“, d.h. er war mit einer Christin verheiratet und blieb deshalb lange von der Deportation verschont. Im Herbst 1944 sollte er dann doch noch von der Gestapo verhaftet und in das Konzentrationslager nach Theresienstadt deportiert werden. Wie aus der eidesstattlichen Erklärung von Wilhelm Neumeyer hervorgeht, wandte sich Leven in seiner Verzweiflung am 17.09.1944 an Ludwig Bochmann. Leven wurde versteckt und fast 6 Monate lang vom Ehepaar Bochmann mit Nahrung, Kleidung und allem Notwendigen versorgt. Der o.g. Wilhelm Neumeyer gibt sogar an, Fritz Leven in dieser Zeit zweimal die Haare geschnitten zu haben, „da sie schon unansehnlich lang geworden waren“.

Blick in den ehemaligen Bunker.

Besonders riskant: der NSDAP-Ortsgruppenleiter von Süchteln, Josef Claßen, war quasi ein Nachbar Bochmanns, denn sein Haus auf der Ratsallee lag genau zwischen dem Wohnhaus von Bochmann und dem Fabrikgebäude. Mehrmals täglich passierte das ranghohe NSDAP-Mitglied das Versteck Levens in nur wenigen Metern Entfernung!

Beim Einmarsch der US-Truppen in Süchteln am 01.03.1945 konnte Leven sein Versteck endlich wieder verlassen. Er überlebte den Holocaust nur dank der selbstlosen Unterstützung der Familie Bochmann.

Alsbald kehrte Fritz Leven nach Krefeld zurück. Im Oktober 1945 war er der erste Vorsitzende der jüdischen Gemeinde in Krefeld, Vorsitzender des Ausschusses für rassisch und religiös Verfolgte sowie Mitglied des Wiedergutmachungsausschusses der Stadt Krefeld. In seiner Privatwohnung in der Bismarckstr. 118 empfing er zu dieser Zeit die Krefelder Überlebenden der Konzentrationslager. Fritz Leven verstarb am 07. November 1962 im Alter von 73 Jahren in Krefeld.

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