Familie Baum / Sanders
In der damaligen Krefelderstraße 46 (heute: Tönisvorsterstraße 46) wurde 1860 Leopold Baum geboren. Sein Vater, Moses Baum, war ein Süchtelner, seine Mutter, Sibilla, manchmal auch Bella genannt, kam aus Schermbeck. Leopold war wohl der Älteste von fünf Kindern.
Sein Vater, Moses, stirbt, als er 17 Jahre alt ist, seine Mutter im Jahre 1882, als er 22 Jahre alt ist.
Als ältestes Kind trägt Leopold Baum, der als Viehhändler arbeitet, nun die Verantwortung für die jüngeren Geschwister: Isidor (*1863) , Elisa (*1867), Netta (*1870), Salomon (*?).
Das mag ein Grund sein, warum Leopold erst recht spät heiratet.
Leopolds Schwestern bleiben unverheiratet. Sie wohnen später in Süchteln am Lindenplatz und arbeiten als Hausangestellte. Im September 1942 werden Leopold jüngerer Bruder, Isidor, und seine jüngere Schwester Netta in Treblinka von den Nazis ermordet.
Familienglück
Leopolds Ehefrau, Jenny Kaufmann, die 19 Jahre jünger ist, kommt gebürtig aus Hüls. Am 25. November 1901 erfolgt ihre erste Hausgeburt. Auf dem Standesamt wird dazu angegeben, dass mittags um drei Uhr ein Mädchen geboren sei, Sophia Baum.
Unterschrieben wird die Geburtsurkunde vom Vater, Leopold Baum.
Das Paar, Leopold und Jenni Baum bekommt weitere Kinder: Kurt (*1903), Alex (*1905) und Ernst (*1907).
Der Zweitälteste, Kurt, heiratet Senta Baum und bleibt in Süchteln wohnen.
Der zweite Sohn, Alex, heiratet 1937 nach Gemmingen.
Leopold Baum
Als Leopold Baum 67 Jahre alt ist, nimmt er am 1. Mai 1927 als Zuschauer an der Eröffnung der Waldkampfbahn in den Süchtelner Höhen teil. Das ist das einzige Foto, was von der Familie existiert und eines der wenigen überlieferten Fotos, das einen ermordeten Juden aus Viersen zeigt.
Leopolds älteste Tochter, Sophia, heiratet ein Jahr später, am 28. Dezember 1929, in Süchteln den Viehhändler Isaak Sanders aus Kaldenkirchen.
Die Trauzeugen sind die Väter: Leopold Baum und Josef Sanders.
Das Paar wohnt in den ersten Ehejahren in Kaldenkirchen, in der Bahnhofstraße 77 bei den Schwiegereltern von Sophia.
In Kaldenkirchen gebiert Sophia anderthalb Jahre nach der Eheschließung am 29. Juni 1930 im St. Clemens-Hospital ihren Sohn Erich.
Als Erich sechs oder sieben Jahre alt ist, im Jahre 1936 oder 1937, zieht die Familie zurück nach Süchteln zu den Großeltern in die Krefelder Straße 46.
Offensichtlich hat Leopold Baum, mittlerweile 75 Jahre alt, die Geschäfte an seinen Schwiegersohn übertragen, denn im Adressbuch aus dem Jahre 1936 wird Leopold Baum als „arbeitslos“ geführt, sein Schwiegersohn Isaak hingegen als „Viehhändler“.
Das einzige schulpflichtige jüdische Kind
Erich besucht von Süchteln aus die jüdische Schule in Krefeld. Im Jahre 1937 ist Erich gemäß den Akten das einzige schulpflichtige jüdische Kind, das die „israelitische Schule in Krefeld“ besucht.
Das Ende
Erichs Großmutter, Jenny Kaufmann, stirbt mit 59 Jahren in Süchteln, als Erich sieben Jahre alt ist, am 23. Februar 1938.
Im November 1938 werden die Pässe mit einem „J“ für Jude gekennzeichnet, zum Beispiel bei Leopold Baum und Tochter Sophia.
Zwei Jahre später erfolgt der Hinweis, dass der Reisepass eingezogen worden ist.
Die Endlösung, der Plan, die Juden zu ermorden, wird nun durchgeführt.
Deportation 1939
Die Familie Sanders wird gezwungen, am 28. Oktober 1939 von Süchteln aus in ein sogenanntes Judenhaus nach Düsseldorf zu ziehen, in die Geibelstraße 39.
Zwei Jahre später wird die Familie, Isaak, Sophia und Sohn Erich, am 27. Oktober 1941 vom Schlachthof in Düsseldorf-Derendorf aus mit 1000 weiteren Juden und Jüdinnen ins Getto in das damalige Getto Litzmannstadt (das von den Nazis umbenannte „Lodz“) deportiert.
Innerhalb des Gettos darf die Familie nach einem halben Jahr umziehen. Erich unterschreibt mit seiner Kinderschrift das Umzugsdokument, sehr wahrscheinlich, weil sein Vater aus dem Ersten Weltkrieg aus der Ypern-Gegend eine schwere Kriegsverletzung hatte, ein Arm war sozusagen taub, unbrauchbar.
Tod des Vaters durch Unterernährung
Erichs Vater, Isaak Sanders, stirbt im Getto an Unterernährung.
„Große Sperre“
Zwei Monate nach dem Tod des Vaters wird im Getto Litzmannstadt eine als „Große Sperre“ bezeichnete Ermordungsaktion durchgeführt (5.-12.09.1942). Die Produktionsstätten werden geschlossen, niemand darf das Haus verlassen. Alte, Kranke und Kinder werden deportiert, darunter Erich Sanders.
Während dieser Woche stirbt seine Mutter, die Süchtelnerin Sophia Baum, an „Herzversagen“, wie es in den Akten heißt. Sehr wahrscheinlich hat die junge Witwe irgendwie versucht, das Leben ihres einzigen Sohnes und zu retten.
Tod im Gaswagen
Die Kinder in Litzmannstadt werden mit einem offenen Wagen abgeholt und in ein Vernichtungslager namens Kulmhof (polnisch Chelmno) gebracht.
Von hier aus müssen sie nackt den Laderaum eines „Gaswagen“ betreten, der dann geschlossen wird und in den dann die Abgase geleitet werden. Auf dem Weg in ein nahegelegenes Wäldchen erstickt Erich Sanders.
Es sind die ersten Versuche der „Endlösung“, die dann wenig später in Auschwitz fabrikmäßig ausgebaut werden.