Mit der Ermordung von Karl Martin Wins 1933, beginnt ein nicht endender Leidensweg für seine Angehörigen: Sohn Martin Heinrich Wins kommt in Schutzhaft, wird schwer misshandelt. Auch nach dem Krieg wird die Familie schikaniert und wegen ihrer ungebrochenen Nähe zur KPD gar wegen Staatsgefährdung angeklagt. Die Enkelin Inge L. berichtet von ihren Erinnerungen und Recherchen zur staatlichen Verfolgung ihrer Familie durch die Systeme hindurch.
Die Enkelin Inge L. im Zeitzeugen-Gespräch
Inge L. erinnert an ihren Großvater, den Viersener Schneider und Kommunisten Karl Martin Wins,…
…ihren Vater Martin Heinrich Wins und die politische Verfolgung und Ächtung ihrer Familie.
Die Ermordung
Das Haus der Familie Wins wurde für politische Versammlungszwecke der Kommunisten genutzt. Hausdurchsuchungen waren regelmäßig der Fall. Herr Wins versuchte nach einer Versammlung, als die SS an der Haustür Oberrahserstr. 170 klingelte (heute stehen dort moderne Reihenhäuser), durch eine Luke aufs Dach zu flüchten. Hierbei wurde er mit Dum-Dum-Geschossen tödlich verletzt. Die Begebenheit wird in mehreren Unterlagen zitiert, so z.B. in Klaus Marcus: Der grosse Krieg und die kleine Stadt, Seite 432.
Beerdigt wurde er auf dem Friedhof auf der Löh, zunächst auf der rechten Seite des Hauptweges parallel zum Löhweg. Im Zuge von Planungsänderungen erfolgte Anfang der 50-er Jahre eine Umbettung. Seine Ehefrau Elisabeth (geb. Ingenstou; 14.8.1882 – 4.1.1966) erreichte, dass die Gräber zu Ehrengräbern ernannt wurden, welche von der Stadt unterhalten und nicht beseitigt werden dürfen. Sie fand dort ebenfalls ihre letzte Ruhe. Dorthin umgebettet wurde auch Otto Gehrmann (6.12.1878 – 4.11.1936) – gleichfalls Kommunist und von der Gestapo getötet.
Der nicht endende Leidensweg der Familie
Im Zuge der Mordaktion wurde Martin Heinrich Wins (26.2.1908 – 2.9.1983), der Sohn von Karl Martin Wins, mit 25 Jahren in „Schutzhaft“ genommen und so schwer misshandelt, dass er ertaubte. Er hatte durch den Tod seines Vaters seine Arbeitsstelle im väterlichen Schneiderbetrieb verloren, blieb lange arbeitslos und verdingte sich als Hilfsarbeiter. Wins wurde schließlich wegen seiner Taubheit als Wehruntüchtiger zusammen mit seiner Ehefrau „dienstverpflichtet“ bei den „Junkers-Werken“ in Dessau, einem der bedeutendsten Rüstungskonzerne.
Ausbleibende "Stunde Null"
Martin Heinrich Wins und seine Ehefrau kamen 1945 aus Dessau zurück, als die Engländer angeblich den SS-Mann vor Gericht stellen wollten, der den Befehl zur Ermordung des Vaters gegeben hatte. Er ist jedoch nie verurteilt worden. In der Zeit nach Kriegsende haben die Eltern mit Familie (inzwischen fünf Kinder, darunter Inge L.) in Notunterkünften im Hamm und danach durch Zwangseinweisung auf der Hardter Str. 41 gewohnt. Inge L. besuchte die Zweitorschule und später das Mädchen-Gymnasium an der Lindenstraße. Martin Heinrich arbeitete noch bis Anfang der 50er Jahre als inzwischen selbständiger Schneidermeister. Als das im Zuge des Wiederaufbaus brotlose Kunst wurde, blieb er bis zu seinem Renteneintritt Hilfsarbeiter in der „Viersener Baumwoll Feinweberei“. Sein Vater und Großvater von Inge L. ist nie als Opfer des Nationalsozialismus anerkannt worden, Witwen und Waisen erhielten keine entsprechenden Renten. Martin Heinrich Wins wurde eine Entschädigung für die Schutzhaft und deren Folgen verwehrt; er erhielt eine (nicht staatliche) „Verfolgtenrente“.
Gescheiterte Anträge auf Beschädigtenrente
Fortsetzung der Ächtung zwischen fehlender Aufarbeitung und roter Angst
Die Eltern blieben Zeit ihres Lebens Kommunisten und gehörten dem Deutschen Freidenker Verband (Weltanschauungsgemeinschaft / Interessengemeinschaft konfessionsfreier Menschen) an. Gegen die Eltern und älteren Geschwister von Frau L. wurden nach dem KPD-Verbot (17.8.1956) Verfahren wegen „Staatsgefährdung“ eingeleitet, vier davon eingestellt. Eine Schwester und ihr Mann wurden nach langer U-Haft im Gefängnis Anrath wegen „Hochverrats“ verurteilt. Die ganze Familie Wins stand auch nach dem Krieg noch lange unter Beobachtung der „Politischen Polizei“ (K14), die regelmäßig Hausdurchsuchungen durchführte, geleitet von Manni Scholz.
Die Familiengeschichte zeigt geradezu typisch, dass es die Opfergruppe der Kommunisten in der Nachkriegszeit noch schwerer als andere Opfergruppen hatte, zu einer finanziellen Entschädigung für erlittenes Unrecht zu kommen und gesellschaftliche Anerkennung zu erhalten. Vielmehr setzte sich die Ächtung (Parteiverbot, Berufsverbote) nach kurzer Unterbrechung fort.
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