Die „Synagoge“ in Süchteln war ein Gebetsraum in der ersten Etage eines zweistöckigen Wohnhauses, links neben der evangelischen Kirche in der Hindenburgstraße 3.
Die jüdische Geschichte in Süchteln
Die Geschichte der jüdischen Bevölkerung in Süchteln begann nachweislich im 17. Jahrhundert, als einzelne Juden vom Landesherren Geleitbriefe ausgestellt bekommen.
Im Jahre 1663 erhielt der Jude Joel Jonas, der im Fleischhandel tätig war, einen landesherrlichen Schutzbrief für Süchteln, für den er jährlich neun Gulden zu zahlen hatte. In diesem Zeitraum überfielen Räuber ein jüdisches Haus, wobei es auch zu einem Mord kam. Wahrscheinlich handelte es sich um das Haus von Joel Jonas. 1689 zog er von Süchteln nach Weißweiler um, da ihm wohl die Geleitgeld-Forderung zu hoch wurden.
Ein gewisser Levi Nathan erhielt im Jahre 1693 einen Geleitbrief, womit der in die Süchtelner Bürgerschaft aufgenommen wird. Dafür musste er einen Reichstaler zahlen, einen ledernen Eimer für sein Haus und das Rathaus stellen und ein Gelage ausrichten. Im Gegenzug wurden ihm Getreide-, Fleisch-, und Geldhandel erlaubt. 1742 lebten in Süchteln fünf jüdische Familien, am Ende des 18. Jahrhunderts sieben.
Erstmalige Erwähnung des Gebetshauses im 19. Jahrhundert
1810 wird die Synagoge erstmals im Urkataster genannt. 1845 zählte die jüdische Gemeinde in Süchteln 29 Personen. 1853 wollte der Gladbacher Landrat die Jüdinnen und Juden von Viersen, Oedt und Süchteln zu einer Gemeinde vereinigen, doch die Süchtelner Jüdinnen und Juden wollen nicht: sie besäßen doch ein Gemeindehaus und eine Synagoge und seien mit der Situation zufrieden. Süchteln wurde dann dem Synagogenbezirk Kempen zugeordnet. Davon wollten sich die Süchtelner später trennen, denn sie zahlten jährliche „Kultuskosten“, erhielten aber keine Gegenleistungen. Es kam zum jahrelangen Streit (1902-1906).
Innenansichten
Bekannte Rabbiner
Ein gewisser Cappel Herz wird 1808 als Rabbiner genannt. Überliefert sind beispielsweise weiterhin die Rabbiner Moses Baum (1869), Jakob Lifges (1907) oder Leopold Baum (1930/31).
Pogromnacht 1938
In der Nacht zum 9.11.1938, also in der Pogromnacht, wollten SA-Männer das Haus, in dem sich der jüdische Gebetsraum befand, anzünden, sahen dann jedoch davon ab, weil sich im Erdgeschoss ein Friseursalon einer nicht-jüdischen Familie befand. Der jüdische Gebetsraum im ersten Obergeschoss wurde zerstört.
Abgelehnter Kauf des Hauses durch Friseur Tourna
Im März 1939 zeigte der Friseur Tourna, der im Erdgeschoss seinen Salon hatte, Interesse, das Haus zu kaufen. Der Einheitswert wurde auf 1300 RM (ca. 4.850 DM) festgelegt. Doch im Juni schrieb der Regierungspräsident an den Landrat in Kempen, dass er den Kauf nicht genehmige, da ein dringendes öffentliches Interesse vorliege. Er meinte damit eine anstehende Straßenverbreiterung.
Tourna verlangte daraufhin:
„die Rechnungen über die mir durch die Ablehnung des Hauses entstandenen Unkosten und zwar: 1. Die Notarrechnung, 2. die Architektenrechnung, 3. die Rechnung über die im voraus bezahlte Feuerversicherung. Ich bitte höfl. um Erstattung der mir entstandenen Unkosten. Heil Hitler! Ernst Tourna“
Dem Friseur Tourna wurden ein Betrag von 60 RM und die Kosten für die Feuerversicherung zurücküberwiesen.
Antragsschreiben Tournas
Kauf durch die Stadtgemeinde Süchteln
Am 20. August 1939 kaufte die Stadtgemeinde Süchteln (vertreten durch Bürgermeister Josef Steinbüchel) der Synagogengemeinde des Kreises Kempen-Krefeld das Grundstück für 1300 Reichsmark ab. Hintergrund war die “Verordnung über den Einsatz jüdischen Vermögens“ der NS-Regierung (3.12.1938), nach der die Juden gezwungen wurden, ihre Gewerbebetriebe und ihren Grundbesitz zu verkaufen, um sie aus der Wirtschaft zu entfernen.
Im Januar 1940 zog der Friseur Tourna aus, das Haus stand dann länger leer. Der Reichsluftschutzbund nutzte das Gebäude bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges für Bürozwecke. Dafür brauchten nun seit April 1941 keine Grundstückssteuern mehr gezahlt zu werden.
Die zweifelhafte Aufarbeitung der Geschehnisse
Am 17.06.1950 berichtet die Rheinische Post über den öffentlichen Prozess in der Königsburg gegen sechs frühere SA- und SS-Männer. Sie waren an der Zerstörung der Synagoge und Verwüstung des Wohneigentums von Jakob Lifges, Geschwister Baum und Leopold Baum beteiligt gewesen.
Es kommt zum Teil zu Schuldeingeständnissen. Letztlich werden nur die Angeklagten Pascher und Wefers zu siebenmonatigen Bewährungsstrafen verurteilt. Gegen Hunold und Mieland wird das Verfahren eingestellt, da sie unter das zum 1. Januar 1950 in Kraft getretene Amnestiegesetz (Straffreiheitsgesetz) fielen. Die mangelnde Beweislage führt zu Freisprüchen für Drießen und Schnäbler.
Rückerstattungsprozess
1952/53 kam es zu einem langwierigen Rückerstattungsprozess, der mit einem sogenannten Wiedergutmachungsantrag der „Jewish Trust Corporation for Germany“ in Mülheim-Ruhr, also dem Rechtsnachfolger der jüdischen Gemeinde Süchteln begann. Der Prozess endete schließlich mit einem beim Landgericht in Mönchengladbach geschlossenen Vergleich, bei dem die Ausgleichszahlung von 4.500 DM angenommen wurde. Das Haus ging damit endgültig in den Besitz der Stadt Süchteln über.
Abriss und Neubau des Gebäudes
„Der schlechte bauliche Zustand des Hauses“ wurde in den Akten immer wieder bemängelt. Es hieß „der Kraftwagenverkehr habe an dieser Hauptverkehrsstraße nach Holland außerordentlich zugenommen“, obwohl die Straße mittlerweile eine Einbahnstraße sei. 1970 wurde das Haus abgerissen, später an der gleichen Stelle ein neues Haus gebaut, das etwas mehr Platz auf dem Gehweg zuließ.
Mahnung, Gedenken und Verpflichtung
1985 wurde an dem Nachfolgehaus eine Gedenktafel angebracht, die an die ehemalige „Synagoge“ erinnert. Angeregt hatte dies ein Geschichtskurs des damaligen Städtischen Gymnasiums in Dülken. Der Text lautet:
„Hier stand die Synagoge der Jüdischen Gemeinde Süchteln. Sie wurde am 9. November 1938 durch Willkür vernichtet.“
Seit 2018 ist der Ort des ehemaligen jüdischen Gebetshauses auch eine Gedenkstätte für die Jüdinnen und Juden, deren letzter Wohnort nicht mehr genau zugewiesen werden kann. Der Künstler Gunter Demnig verlegte hier für sie Stolpersteine.
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