Von Unfruchtbarkeit bis zum Tod

Unsere Stadt war auch damals schon für ihre "Heilanstalt" bekannt. Die Nazis missbrauchten sie für grausame Taten, zum Beispiel an Otto S.

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Viersen - bekannt für seine Klinik

Die Stadt Viersen, insbesondere Süchteln, ist heutzutage durch die LVR-Klinik weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannt. Doch Menschen mit psychischen Problemen oder einer (geistigen) Behinderung passten nicht in das Weltbild der Nazis. Mit Beginn des Nationalsozialismus beginnt ein dunkles Kapitel in der damaligen „Heil- und Provinzialanstalt“. Es endet mit über 1500 Toten und zahlreichen Menschen, die gegen ihren Willen zwangssterilisiert wurden.

Verfolgung durch die Nazis

Ab Juli 1933 gab es ein Gesetz, das bestimmte Menschen dazu zwang, keine Kinder mehr bekommen zu können: das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“. Dazu gehörten Menschen mit Behinderungen, psychischen Krankheiten, sozial Schwache und Süchtige. Viele Ärzte arbeiteten aktiv daran, das „deutsche Volk“ zu verändern: Menschen, die eigentlich geschworen hatten, anderen zu helfen und sie zu heilen, setzten die gewalttätigen Pläne der Nazis um.

Zwangssterilisationen fanden im Allgemeinen Krankenhaus in Viersen statt. Das für Viersen zuständige Erbgesundheitsgericht befand sich in Mönchengladbach.

Von dem „Erbkranken-Gesetz“ waren allein im Rheinland viele tausend Menschen betroffen. Die schlimmste Konsequenz war der Mord: Im Sommer 1939 begann eine Aktion, die „Vernichtung unwerten Lebens“ hieß. Man sprach auch von der „Aktion T4“. Im Rheinland führte diese Aktion dazu, dass Tausende von kranken Menschen in Tötungsanstalten gebracht wurden, wo sie umgebracht wurden. In unserer Region wurden viele Morde in der Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt in Süchteln und ihrer Nebenstelle in Waldniel-Hostert nachgewiesen. Auch der Transport von dort in Tötungsanstalten wie Hadamar in Hessen ist dokumentiert. Die Namen der Opfer sind meistens nicht bekannt oder geschützt. Ab 1942 wurden verstärkt Psychiatriepatienten aus Anstalten „verlegt“ und umgebracht, weil man ihre Betten  für verletzte Soldaten benötigte.

Antrag auf Unfruchtbarmachung

Der Fall Otto S.

Otto S. wurde in den 1880er‑/1890er-Jahren in Wien geboren und zog mit seiner Familie schon früh in das heutige NRW. 1924 wurde Otto wegen seiner Epilepsie („Fallsucht“) in die Heil- und Provinzialanstalt Johannistal (heute: LVR-Klinik Viersen) eingewiesen. Er fühlte sich dort aber nicht wohl und versuchte 1925 zu fliehen. Er arbeitete kurze Zeit bei einem Bauern in Kassel, kehrte 1926 zurück und blieb dann dauerhaft in Johannistal.

Auch Epilepsie fiel unter das Erbkranken-Gesetz. Für Otto stellte 1936 ein Arzt einen Antrag beim Erbgesundheitsgericht auf Zwangssterilisierung, d.h. Unfruchtbarmachung gegen seinen Willen. Nach Meinung der Klinik sollte Otto nie Kinder bekommen dürfen. In kürzester Zeit wurde das Urteil gefällt: Er musste sterilisiert werden. Der Eingriff erfolgte im Juli im Krankenhaus in Viersen. Danach kehrte er zurück nach Johannistal.

Otto versuchte immer wieder, die Klinik zu verlassen: 1937 und erneut 1939 lief er davon – war aber kurze Zeit später wieder in Johannistal. Schließlich fügte er sich und arbeitete dort als Maurer – in den Berichten wurde erwähnt, dass er „recht fleißig“ war.

Ab 1939 erfassten die Nazis systematisch Patientenakten und entschieden mithilfe eines Meldebogens, wer leben durfte und wer „aussortiert“ wurde. Wer ein rotes Kreuz bekam, sollte getötet werden; ein blauer Strich bedeutete: Er durfte weiterleben.

Otto wurde im Juni 1940 mit einem roten Kreuz versehen. Er kam am 9. Mai 1941 nach Andernach – eine Zwischenstation vor der Tötung. Am 17. Juni 1941 verstarb er dort, einen Tag vor dem geplanten Transport in die Tötungsanstalt Hadamar. Ärzte nannten die Todesursache „Coronarembolie“, obwohl es sich um Mord handelte.

Ende August 1941 wurde die Aktion T4 nach öffentlichem Druck offiziell gestoppt. Doch viele Patienten starben weiterhin – oft in anderer Weise, durch Hunger, Vernachlässigung oder absichtlich falscher Medikamentengabe.

Otto ahnt, dass ihm schlimme Dinge widerfahren werden.

Hinweis: Dieser Beitrag wurde mit KI-generierten Zeichnungen ergänzt. Das hilft uns, Szenen sichtbar zu machen, für die keine passenden historischen Fotos überliefert sind – etwa weil solche Bilder nie gemacht wurden oder heute nicht mehr existieren.

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