Als Klaus Anschel 1938 im Alter von 17 Jahren nach Australien aufbrach, ahnte er noch nicht, dass er seinen Vater soeben das letzte Mal in die Arme schloß. Über 30 Jahre später kehrte er nach Europa zurück - und etablierte sich in London als Kunsthändler.
Der nachfolgende Text zu Klaus Anschel basiert auf den Forschungen von Thomas Menzel, Autor des Buches „Ende des Beschweigens. Humanistisches Gymnasium Viersen in der Zeit des Nationalsozialismus und nach Kriegsende (1933-1950)“. Er hat seine Rechercheergebnisse zu Anschel dem Verein „Erinnerungskultur“ zur Verfügung gestellt.
Elternhaus und frühe Kindheit
Klaus Anschel kam am 11. Januar 1921 in Düsseldorf zur Welt. Seine Eltern, Irma und Rudolf Anschel, gehörten zur jüdischen Gemeinde. Abgesehen von der Viersener Großmutter galt die Familie aber nicht als besonders religiös.
Sein Vater, Rudolf Anschel, kam am 24. Mai 1894 in Bochum zur Welt. Im ersten Weltkrieg (1914 – 1918) diente er als deutscher Soldat und wurde sogar mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet. Nach dem Krieg heiratete er die spätere Mutter von Klaus, Irma Meyer, die fortan seinen Namen trug. Irma erblickte am 27. Juni 1894 in Viersen das Licht der Welt. Sie lebte nach der Geburt ihrer Kinder als Hausfrau. Rudolf Anschel hingegen eröffnete in Köln-Mülheim eine Druckerei, welche nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten alsbald “arisiert” wurde. Das Paar ließ sich bereits zuvor Anfang der 1930er Jahre scheiden, blieb jedoch in freundschaftlicher Weise verbunden.
Rudolf Anschel überlebte die Zeit des Nationalsozialismus übrigens nicht: er wurde am 20.7.1938 ins KZ Sachsenhausen deportiert und am 3.9.1940 nach Dachau verlegt. Seit dem 22.1.1941 war er in Neuengamme inhaftiert, kehrte am 29.4.1941 nach Dachau zurück und wurde schließlich am 5.7.1941 nach Buchenwald deportiert, wo er ermordet wurde.
Ausschluss von der Schule
Klaus lebte nach der Scheidung seiner Eltern mit seiner Mutter Irma und seiner rund zwei Jahre jüngeren Schwester Lore (geboren am 22.4.1923) in Viersen bei seiner Großmutter. Hier ging er in den 1930er Jahren tragischerweise als letzter jüdischer Schüler am Gymnasium (Wilhelmstraße) in die Schulchronik ein: im Zuge der Entrechtung und Ausgrenzung der jüdischen Bevölkerung musste Klaus Anschel das Gymnasium nach der Untertertia (4.Klasse) verlassen.
Ein Großteil der Lehrer unterstützte die Maßnahmen der Nationalsozialisten oder nahm sie zumindest stillschweigend hin. So sind antisemitische Aussagen u.a. vom damaligen Schulleiter überliefert. Doch es gab auch hier in Viersen positive Beispiele: ein Lehrer, der damalige Studienrat Bretter, tröstete den jungen Klaus und sprach ihm Mut zu. Die beiden hielten auch nach dem Krieg Kontakt und besuchten sich.
Düsseldorf: Vorbereitung der Migration
Die Familie zog nach dem Tod der Großmutter wieder nach Düsseldorf zurück. Mutter und Schwester lebten in der Bongardstraße, Klaus wohnte zunächst allein in einem möblierten Zimmer in der Nähe des Bahnhofs.
Vermutlich bereits 1937 migrierte eine Tante Klaus Anschels mit ihrer Familie nach Sydney. Ein Süßigkeitengeschäft mit eigener Herstellung sicherte das Einkommen der Auswanderer. Auch Klaus Anschel plante, das Deutsche Reich Richtung Australien zu verlassen.
Während seine Mutter ihren Lebensunterhalt als Vertreterin u.a. für Seidenstrümpfe und Motoröl verdiente, erlernte er also bei Verwandten in Duisburg die Kunst der Herstellung von Süßwaren und gebrannten Mandeln. Schließlich erhielt er die Gelegenheit, bei der Firma Adler in Düsseldorf sein Wissen im Bereich der Schokoladenherstellung zu vertiefen.
Von Bremen über Sydney nach Melbourne
Fünf Monate dauerte Ende 1937 die Überfahrt des Klaus Anschel von Bremen nach Sydney. Seine Eltern brachten ihn in Bremen an Bord des Frachters “Neckar”. Das diese Ausreise überhaupt möglich wurde, war u.a. der Verdienst des Viersener Kantors Nussbaum. Vermutlich ahnte Klaus Anschel zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht, dass es das letzte Mal sein würde, dass er seinen Vater in die Arme schließen konnte. Am 27. März 1938 erreichte er schließlich die australische Hafenstadt.
Ein Jahr lang, also bis 1939, arbeitete der frisch gebackene Auswanderer im Süßwarengeschäft seiner Verwandten.
Onkel Erich, ein Onkel mütterlicherseits, ging mit Klaus nach Melbourne, um gemeinsam ein Süßwarengeschäft zu eröffnen. Im Angebot der Anschels waren gebrannte Mandeln und Schokolade. Sie wohnten in Victoria, East St. Kilda, 18 Hammerdale Avenue, auch heute noch eine schöne Wohngegend, wie das nachfolgende Bild zeigt.
Klaus und Gertrud Anschel und die australische Kunstszene
1942 bis Kriegsende diente Klaus Anschel freiwillig in der australischen Armee in einer Emigranten-Einheit. Er lernte in Melbourne die ursprünglich aus Wien stammende Schülerin Gertrud Perger kennen (auch liebevoll “Gerti” oder “Gerty” genannt) und heiratete sie am Kriegsende. Das folgende Bild von ihr ist ein Standbild aus einem privaten Film der Familie Anschel.
Eben jenes Video zeigt, wie sehr die Familie Anschel mit ihren beiden Kindern Miriam (verheiratet mit John M. Mawle) und Danny (2016 mit 66 Jahren nach Herz-Op verstorben) in die australische Kunstszene eingebunden war. Zahlreiche andere Berühmtheiten tummelten sich im näheren Umfeld der Familie. Den unten in drei Teilen einzusehende Privatfilm schenkte Getrud Anschel später dem australischen Regisseur Philippe Mora. Er kommentiert (auf Englisch) den Film.
Philippe Mora stiftete 2002 das Video der “National Film and Sound Archive of Australia”. Die Behörde bewahrt seither das Originalmaterial auf und machte es zugleich der Öffentlichkeit über das Internet zugänglich.
Anschels Wirken in London
1961 zog die Familie Anschel nach London. Sie erwarben 1963 ein Haus und eröffneten 1970 einer Kunstgalerie auf der King’s Road, die bis heute (siehe Foto unten) zu den bedeutensten Londoner Straßen zählt. Zunächst handelten die Anschels mit Keramik und Schmuck, in den 1970er Jahren auch mit Stammes- und ethnischer Kunst. Ab 1982 konzentrierten sich Klaus und Gertrud Anschel nur noch auf den Handel mit Originaldrucken. Sie erwarben eine bedeutende Sammlung renommierter Künstler.
Sieben Monate nach ihrem 50. Hochzeitstag, im Juli 1994, erlag Gerty Anschel einem Krebsleiden. Danach begann Klaus die Sammlung allmählich zu verkaufen. Er starb am 30.10.2017 mit 96 Jahren in seinem Londoner Haus.
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