Familie Lifges

Von Nathan Lifges gegründet befand sich auf der Hochstraße 39 in Süchteln ein Textilwarengeschäft und ein Fotoatelier, welches bis 1942 existierte.

Nathan Lifges war ein angesehener Kaufmann und um 1900 herum gut in die noch sehr dörfliche Gemeinschaft in Süchteln integriert. Am 29.12.1916 spendete der Kaufmann Jakob Lifges zum Beispiel 500 Reichsmark für den Fond der Süchtelner Kriegshinterbliebenen. Ein Mitglied der Familie Lifges, Erich Lifges (Soldat im ersten Weltkrieg), bekam 1917 das Eiserne Kreuz , eine Kriegsauszeichnung, posthum verliehen.

Das Textilgeschäft Lifges wurde nach dem Tod von Nathan Lifges im Dezember 1902 von Jakob Lifges weitergeführt.

Inserat für das Kaufhaus Lifges.
Inserat für das Kaufhaus Lifges.
Inserat für das angeschlossene Fotoatelier.
Inserat für das angeschlossene Fotoatelier.

Süchteln zwischen 1933 und 1942

Als sich 1933 die politischen Verhältnisse änderten, hatte dies auch in Süchteln deutliche Auswirkungen.
Adolf Hitler, Paul von Hindenburg, Hermann Göring wurden Ehrenbürger der Stadt Viersen, es wurde eine Patenschaft der Stadt für das U-Boot 372 übernommen, Jugendliche des Jahrgangs 1928 wurden zu den Wehrertüchtigungslagern einberufen. Nicht zu vergessen die Reichspogromnacht am 09.November 1938: Auch in Süchteln wurden jüdische Mitbürger in dieser Nacht aus ihren Häusern getrieben und ihr Hab und Gut auf die Straße geworfen.

Die Schaufenster, die hier zu sehen sind, wurden des öfteren eingeworfen und die Mauern mit antisemitischen Parolen beschmutzt. Vor der Eingangstür, dort wo jetzt die Kunden hinein- und hinausgehen, standen SA-Posten, die Kunden denunzierten und beleidigten.

Weberbrunnen in Süchteln um 1921. Im Hintergrund befand sich das Ladenlokal der Familie Lifges. In dem Gebäude findet man heute ein Geschäft der Kette „ernstings family“.; Quelle: Kreisarchiv
Weberbrunnen in Süchteln um 1921. Im Hintergrund befand sich das Ladenlokal der Familie Lifges. In dem Gebäude findet man heute ein Geschäft der Kette „ernstings family“.; Quelle: Kreisarchiv

Auf dem Weberbrunnen hinter ihnen saßen Hitlerjungen und machten sich einen Spaß daraus, die Familie Lifges zu verhöhnen und zu beschimpfen. An der Kirche gegenüber wurden an den vielen, neu hinzugekommenen Feiertagen -„Hitlers Geburtstag“ (20.04), „Tag der nationalen Arbeit“ (01.05.), „Schlagetergedenktag“ (26.05.) – die Hakenkreuzflaggen gehisst.
Ereignisse, wie man sie aus Großstädten wie Berlin oder München kennt, fanden auch hier, an dieser Stelle statt.

Am 30. Januar 1933 zählte die NSDAP im Kreisgebiet 734 Mitglieder in 19 Ortsgruppen (zum Teil nur auf dem Papier existent). Bis Ende März meldeten sich 4.370 neue Mitglieder an.

Parallel dazu hatte die NSDAP ihre Organisationsstruktur auch im katholisch geprägten Rheinland schrittweise ausgebaut. Am 23. Januar wurde der Kreis Viersen-Kempen als „nationalsozialistische Region“ mit Kreisleiter Heinrich Niem gebildet. Im 1938 von der NSDAP herausgegebenen „Rückblick auf den Kreis Viersen-Kempen 1933-1938“ -Viersen wurde nun eigener Kreis- räumten die Nationalsozialisten ein, dass sie keineswegs willkommen gewesen waren. Die Ortsgruppe Süchteln hatte im Wahljahr 1932 kein Geld, im Großraum Kempen bezogen nur 20 Abonnenten die „Volksparole“, der Ortsgruppe Dülken wurden monatelang keine Säle zur Verfügung gestellt, in Hinsbeck drohte Kaplan Terhorst Parteigenossen mit der Exkommunikation.

Dafür versuchten die Nazis mit aller Gewalt im buchstäblichen Sinn, auf den Straßen die Oberhand zu gewinnen. Es gab immer wieder Schlägereien und Schießereien mit Toten und Verletzten. 1938 stellte die Partei zufrieden fest, dass in Süchteln, immerhin, die Straße „schon früh von den braunen Bataillonen in Besitz genommen worden war“.

Bezogen auf den Kreis Kempen-Krefeld zeigte sich diese Entwicklung auch in den Reichstagswahlen zwischen 1930-33:

  • September 1930: 7,9% Anteil NSDAP

  • November 1932: 16,8 % Anteil NSDAP

  • März 1933: 30,1% Anteil NSDAP

Sara Lifges

Sara Lifges

Sara Lifges wurde am 25.01.1863 in Süchteln geboren und war die Schwester von Jakob Lifges. Sara Lifges arbeitete als Ladengehilfin. Auf dem Foto sieht man sie mit anderen Rotkreuzschwestern als erste in zweiter Reihe stehend. Am 27.07.1942 wurde sie ab Köln ins Getto Theresienstadt verbracht. Von dort aus wurde sie am 23.09.1942 ins Vernichtungslager Treblinka deportiert, wo sie ermordet wurde.

Erschwerung der Ausreise

Entzug der Reisepässe, Kennzeichnung mit "J" für Jude und Namensergänzung durch "Israel" oder "Sara".
Die Reisepässe der Familie Lifges (hier die Einträge zu Jakob und Sofia Lifges) werden eingezogen, amtliche Einträge mit einem großen „J“ für Jude versehen und durch die jüdischen Namen Israel bzw. Sara ergänzt. Die Ausreise ist dadurch nicht mehr möglich.

Deportation 1942

Die Familie Lifges überstand diese schlimme Zeit bis 1942. Jakob Lifges, seine Frau Sofia und seiner Schwester Sara wurden 1942 aus ihrem Haus heraus verhaftet und nach Theresienstadt deportiert.

Theresienstadt

Das KZ Theresienstadt wurde von den deutschen Besetzern in Terezín (deutsch Theresienstadt auf dem besetzten Gebiet der Tschechoslowakei, heute Tschechien) eingerichtet. 1940 wurde zunächst in der Kleinen Festung ein Gestapo-Gefängnis eingerichtet, im November 1941 entstand in der Garnisonsstadt ein Sammel- und Durchgangslager zunächst vor allem für die jüdische Bevölkerung des besetzten Landes. Nach der Wannseekonferenz wurden seit 1942 in das Lager auch alte oder als prominent geltende Juden aus Deutschland und anderen besetzten europäischen Ländern deportiert. In der NS-Propaganda im Deutschen Reich wurde Theresienstadt zum „AltersGetto“ verklärt und während einer kurzen Phase als angebliche „jüdische Mustersiedlung“ verschiedenen ausländischen Besuchern vorgeführt. Das „AltersGetto“ war mit rund 40.000 jüdischen Opfern belegt.

Das „Theresienstädter Konzentrationslager“ erfüllte vier Aufgaben: Es war Gestapogefängnis, ein Transitlager auf dem Weg in die großen Vernichtungslager, es diente im Rahmen der Judenpolitik der Vernichtung von Menschen und – zeitweilig – der NS-Propaganda als angebliches AltersGetto.

Der Leidensweg der Süchtelner Familie hörte aber in Theresienstadt nicht auf. Von dort aus wurden sie in das Vernichtungslager Treblinka gebracht.

Ermordung in Treblinka

Das Vernichtungslager Treblinka nordöstlich von Warschau war im Zweiten Weltkrieg das zuletzt errichtete und bald das größte nationalsozialistische Vernichtungslager im Rahmen der “Aktion Reinhardt” im Generalgouvernement des deutsch besetzten Polen. Die Gesamtzahl der zwischen dem 22. Juli 1942 und dem 21. August 1943 ermordeten Menschen im Vernichtungslager Treblinka liegt deutlich über 700.000 und wird auf über 1 Million Menschen aus ganz Europa geschätzt.

In Treblinka wurden Jakob, Sofia und Sara dann Ende 1942 ermordet.

Die Zeit nach 1945

Das Textilhaus Lifges gelang nach der Deportation der Familie in die Hände des Süchtelner Unternehmers Tendyck. Er betrieb bis 1952 dort ebenfalls ein Textilhaus.

Kurt Wollstein, verheiratet mit einer Tochter von Jakob Lifges, die den Krieg überlebt hatte, eröffnete 1952 wieder das „von früher her bekannte“ Textilhaus Lifges. Das Haus war 1952 wieder an die Nachfahrin von Jakob Lifges zurückübereignet worden.

Inserat des neuen Textilhaus Lifges

Nach dem Tode von Kurt Wollstein lebte seine Witwe noch bis in die späten 1980er Jahre in diesem Haus.

Es gibt keine Grabstätte für Jakob, Sofia und Sara Lifges. Einzig die in der Hochstraße 39 in Süchteln verlegten Stolpersteine erinnern an diese ehemaligen Nachbarn, Freunde, Spielkameraden oder Arbeitskollegen.
Ermöglicht hat die Verlegung unter anderem der heutige Besitzer des Hauses, an den Frau Wollstein  (geb. Lifges) Ende der 1980er Jahre verkauft hat.

Nach Aussagen von Zeitzeugen soll Frau Wollstein nach dem Krieg langjährig vom zwischenzeitlichen Hauseigentümer beschimpft worden sein.

Stolpersteine in der Hochstraße 39 in Süchteln.
Stolpersteine in der Hochstraße 39 in Süchteln.

Kontakt

Haben Sie eine Geschichte zu erzählen? Dann melden Sie sich gerne direkt bei uns.