Widerstand im Schatten der Metzgerei: Hermann Dortans rettete verfolgte Antifaschisten – und wurde selbst gefoltert. Nach dem Krieg wurde er Bürgermeister und Bundestagsabgeordneter.
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Frühe Jahre und politisches Erwachen
Hermann Dortans wurde 1898 geboren. Im Ersten Weltkrieg kämpfte er als Minenwerfer an der Westfront – bei Verdun, in den Vogesen und am Chemin des Dames. Die Erfahrungen des Krieges prägten ihn nachhaltig. Nach seiner Rückkehr suchte er vergeblich nach einer Anstellung als Metzger und fand zunächst Arbeit in der Niederrheinischen Hütte. Doch nicht nur beruflich musste sich Dortans neu orientieren – auch politisch entwickelte er ein klares Profil. Ab 1922 engagierte er sich in der Freien Arbeiter-Union Deutschlands (FAUD), einem anarchosyndikalistischen Gewerkschaftsbund, der für eine herrschaftsfreie und solidarische Gesellschaft eintrat.
Dortans wurde schnell zu einer lokalen Führungspersönlichkeit: Als Veranstaltungsredner und Kreisarbeitsbörsenobmann organisierte er nicht nur Versammlungen, sondern unterstützte Arbeitslose bei der Vermittlung von Stellen. 1926 übernahm er den Vorsitz der Ortsarbeiterbörse, 1928 auch den der Kreisarbeiterbörse. 1931 rief die Organisation eine Genossenschaftsmetzgerei ins Leben, die Dortans leitete – zwei Jahre später erwarb er den Betrieb privat und führte ihn auf eigene Rechnung weiter.
Widerstand und Verfolgung
Zwar gehörte er keiner politischen Partei an, doch sein Engagement war eindeutig: Hermann Dortans stellte sich entschieden gegen den aufkommenden Faschismus. Ab 1933 beteiligte er sich aktiv an der Organisation von Fluchtrouten für gefährdete Antifaschisten, deren Rettung oft nur über die nahe Grenze in die Niederlande möglich war. Seine Metzgerei in Dülken diente dabei als diskrete Anlaufstelle. Dortans unterstützte Flüchtende nicht nur logistisch, sondern auch finanziell. Als die Verfolgung durch die Nationalsozialisten zunahm, trat er zum Schein der Deutschen Arbeitsfront (DAF), der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV) und dem Reichsluftschutzbund (RLB) bei, um sich zu tarnen.
Im Aufbau des Fluchtnetzwerks arbeitete Hermann Dortans eng mit anderen Aktivisten der FAUD zusammen, darunter Julius Nolden aus Duisburg, der zentrale Verbindungen nach Berlin und Erfurt koordinierte, sowie der Schlosser Heinrich Hillebrandt aus Dülken. Letzterer übernahm häufig die gefährlichsten Etappen: den Grenzübertritt nach Venlo. Hillebrandt wurde 1935 wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ verurteilt und erlitt Misshandlungen in Haft.
Im Januar 1937 wurde Dortans dennoch verhaftet – vermutlich am 6. oder 7. des Monats – durch Gestapo-Beamte aus Mönchengladbach und Dülken. Im Polizeigefängnis Spatzenberg wurde er brutal misshandelt, unter anderem durch stundenlange Verhöre und Schläge. Nach weiteren Wochen in Gestapo-Haft in Düsseldorf verurteilte ihn der 2. Strafsenat des OLG Hamm zu 30 Monaten Zuchthaus wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“. Seine Haftzeit verbrachte er unter anderem im berüchtigten Zuchthaus Lüttringhausen sowie im Moorlager Esterwegen. Seine Familie – Ehefrau Maria und Sohn Ernst – erhielt während dieser Zeit keinerlei staatliche Unterstützung. Maria führte die Metzgerei weiter, unterstützt von einem Gesellen und einer Hausangestellten.
Nach seiner Entlassung im Juli 1939 blieb er weiterhin unter staatlicher Beobachtung. Im Februar 1943 wurde er in eine Strafkompanie eingezogen, wo er bis Kriegsende Zwangsarbeit leisten musste.
Politisches Wirken nach 1945
Trotz aller erlebten Repressionen war Dortans nach dem Krieg bereit, wieder Verantwortung zu übernehmen. Er trat in die SPD ein und wurde 1946 Ratsmitglied in Dülken. 1948 wählten ihn die Bürger zum Bürgermeister ihrer Stadt, anschließend war er bis 1961 stellvertretender Bürgermeister. Nach seinem Umzug nach Süchteln engagierte er sich dort ebenfalls kommunalpolitisch und war bis Ende 1969 – der kommunalen Neugliederung – stellvertretender Bürgermeister. Zudem war er im Kreistag aktiv, ab 1952 als Vorsitzender der SPD-Fraktion. Auch auf Landes- und Bundesebene nahm er politische Verantwortung wahr: Von 1953 bis 1970 war er Mitglied der Landschaftsversammlung Rheinland. 1969 rückte er für Gustav Heinemann in den Bundestag nach, dem er bis Oktober desselben Jahres angehörte. Außerdem war er ab 1969 ehrenamtlicher Richter am Oberverwaltungsgericht Münster.
Sein berufliches Leben als Metzger blieb ihm ebenfalls wichtig. 1961 übergab er die Leitung des Betriebs an seinen Sohn Ernst, arbeitete aber weiterhin in der Metzgerei mit. Für seinen politischen Mut und seine Standhaftigkeit während der NS-Zeit wurde er – ebenso wie seine Frau Maria und sein Sohn Ernst – als politisch Verfolgter anerkannt.
Hermann Dortans starb 1976 im Alter von 78 Jahren in Dülken. Sein Leben steht für den Mut des Einzelnen, sich gegen Unrecht zu stellen – und für die Kraft, nach Jahren der Verfolgung am Aufbau einer demokratischen Gesellschaft mitzuwirken.
Hermann Dortans mit Regierungspräsident Hans-Otto Bäumer im Jahr 1968.
Stolpersteine für die Familie Dortans in Viersen, im Juni 2025 verlegt
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