Behinderte / Euthanasie – Kompletter Darstellungstext
Die Verfolgungsinstanzen – unter ihnen Kriminalpolizei, Justiz und Sozialbehörden – folgten im Laufe der NS-Zeit immer stärker der Auffassung, es handele sich bei den Randgruppen um erblich belastete „Minderwertige” und „Schädlinge am Volkskörper”, von denen die Gesellschaft „gesäubert” werden müsse.
Welche Auswirkungen solche „rassenhygienischen” Vorstellungen haben konnten, zeigte sich bereits mit dem „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses” vom Juli 1933. Mit seiner Hilfe sollten Krankheiten, die als schädlich für die „rassische Substanz des Volkes” galten, dauerhaft „ausgemerzt” und Erkrankte an der Fortpflanzung gehindert werden. Das Gesetz sah die massenweise Zwangssterilisation von Behinderten, psychisch Kranken, sozial Schwachen und Süchtigen vor und betraute mit dieser Aufgabe neben besonderen „Erbgesundheitsgerichten” vor allem die lokale Gesundheitsverwaltung und Ärzteschaft. Ein großer Teil der Mediziner in den Ämtern, Krankenhäusern, rheinischen Vollzugs- oder Heil- und Pflegeanstalten arbeitete aktiv an der „Aufartung des deutschen Volkes” mit – auch in evangelischen Häusern. So traf das „Erbkrankengesetz” allein im Rheinland mehrere zehntausend Menschen, von Psychiatriepatienten über Arbeitshausinsassen bis zu Fürsorgezöglingen und Hilfsschülern (Lernschwache). Eine gesonderte Opfergruppe der NS-Sterilisationspolitik stellten die „Rheinlandbastarde” dar, mehrere hundert Kinder deutscher Mütter und farbiger Soldaten aus der Zeit der alliierten Rheinlandbesetzung, die im Rahmen einer Geheimaktion erfasst wurden.
Die letzte Konsequenz der nationalsozialistischen Gesellschaftspolitik, die den Menschen nur nach Kosten und „volksgemeinschaftlichem” Nutzen, Erbwert, Anpassungs- und Leistungsfähigkeit beurteilte, stellte der Mord an den psychisch Kranken und Behinderten dar. Die im Sommer 1939 begonnene Aktion zur „Vernichtung unwerten Lebens” lief im Westen zwar mit Verzögerungen an, doch wurden auch im Rheinland Tausende von Kranken per Meldebogen erfasst, von Ärzten „ausgesondert” und über die Zwischenanstalten Andernach und Galkhausen (Langenfeld) in Tötungsanstalten überführt.
Der im August 1941 abgebrochenen, zentral gesteuerten Vernichtungsaktion folgten dezentral organisierte Transporte und Tötungen, an denen die regionale Medizinalverwaltung und die rheinischen Gauleiter hohen Anteil hatten. Ab 1942 wurden mehrere tausend Psychiatriepatienten aus rheinischen Anstalten „verlegt” und umgebracht, weil man ihre Betten für verletzte Soldaten und Kranke aus den bombengefährdeten Gebieten reklamierte. Die rheinische Provinzialverwaltung, zentraler Träger der regionalen Krankenversorgung und Betreiber zahlreicher Heil- und Pflegeanstalten, war maßgeblich an den Anstaltsräumungen beteiligt und leistete so wesentliche Vorarbeiten für die Patiententötungen.
Roth, Thomas, 1933 bis 1945 – Nationalsozialismus und Zweiter Weltkrieg, in: Internetportal Rheinische Geschichte
Für unsere Region sind hundertfache Morde in der Einrichtung der Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt Süchteln und deren Nebenstelle in Waldniel-Hostert oder nach Transport von dort in Tötungsanstalten wir Hadamar/Hessen nachgewiesen. Namen sind meistens nicht bekannt oder unterliegen dem Datenschutz (siehe in der „Virtuellen Gedenkstätte Viersen“ bei „Beteiligte“ unter Wesse und Wrona).
Das für Viersen zuständige Erbgesundheitsgericht befand sich in Mönchengladbach. Unterlagen lagern im dortigen Stadtarchiv. Zwangssterilisationen fanden im Allgemeinen Krankenhaus in Viersen statt (siehe bei „Beteiligte“ unter Dr. Elter und Dr. Martens).