Mitten im NS-Terror riskiert ein Ehepaar aus Viersen-Süchteln das eigene Leben, um vier Menschen zu retten. Jahrzehnte bleibt ihre Tat fast unbekannt.
🎧 Dieser Beitrag steht Ihnen auch in einer Hörfassung zur Verfügung.
Goldhochzeit mit Gästen aus Buenos Aires
Als Matthias und Anna Steeg 1961 in Süchteln Goldhochzeit feierten, erscheinen vier besondere Gäste aus Buenos Aires. Sie hatten in ihrem Haus Zuflucht gefunden – während der dunkelsten Jahre Deutschlands.
Während der NS-Zeit versteckte Steeg gemeinsam mit seiner Frau vier jüdische Mitbürger im Keller ihres Hauses an der Hindenburgstraße 100. Dort hausten sie monatelang, verborgen hinter Kohle und Briketts. Das Haus war voller Leben, mit zwei Familien und mehreren Kindern. Und doch blieb das Versteck unentdeckt.
Die Versteckten konnten nur nachts die außenliegende Toilette im Hof nutzen. In dieser Zeit war die Straße meist menschenleer, und der Toilettengang blieb von außen unsichtbar. Sekunden entschieden darüber, ob sie unentdeckt blieben. Vom Wohnzimmerfenster aus hielt Anna Steeg dabei unermüdlich Wache, um im Notfall rechtzeitig zu warnen. Jeder Schritt nach draußen war ein Wagnis – lautlos, im Dunkeln, mit dem Wissen, dass eine zufällige Begegnung das Ende für alle Beteiligten bedeutet hätte.
Das Haus war bewohnt von mehreren Generationen: Neben den Steegs lebte dort auch die Familie Lenzen. Der Keller war aufgeteilt, ganz unbemerkt dürfte das Versteck nicht geblieben sein. Ob stilles Einverständnis oder bewusstes Schweigen – es bleibt unklar. Fest steht: Es wurde nicht verraten.
Heutige Illustration der Situation im Keller der Steegs zur Zeit des Nationalsozialismus.
Geheime Beobachtungen - Flucht in der Nacht
Steeg und seine Frau beobachteten über Wochen die Bewegungen von Parteigängern, SS-Männern und den Wachwechsel der Flakstation auf den Süchtelner Höhen. Sie erkannten ein Zeitfenster zwischen 21:30 und 22:15 Uhr als am sichersten. In einer dieser Nächte gelang es, die Versteckten unbemerkt zu einem wartenden Fahrzeug hinter der Gaststätte Tillmanns zu bringen. Von dort ging es über die Grenze nach Antwerpen, dann mit dem Schiff nach Buenos Aires. Die Geflüchteten überlebten und bedankten sich später per Brief bei ihren Rettern.
Wären Steeg und seine Frau entdeckt worden, hätte ihnen die standrechtliche Erschießung gedroht. Matthias und Anna Steeg hatten keine schützenden Netzwerke, nur sich selbst. Auch engste Verwandte, darunter die eigene Tochter, wussten lange nichts. Besondere Gefahr drohte durch einen direkten Nachbarn: Kurt Bersch, ein zu diesem Zeitpunkt etwa 30-jähriger überzeugter Nationalsozialist, Parteimitglied und Block- bzw. später auch Zellenleiter, stand täglich in Uniform vor dem Haus und grüßte Matthias Steeg mit „Heil Hitler!“. Er erwiderte den Hitlergruß nie, sondern wich mit „Tag, Kurt.“ aus. Eines Tages platzte es aber wohl aus Steeg heraus:
Wenn du von mir verlangst, dass ich den Hitlergruß erwidern soll, hängst du morgen am höchsten Baum in den Süchtelner Höhen!
Eine Aussage, die Steeg die Freiheit, gar das Leben hätte kosten können. Doch Konsequenzen sind keine überliefert. Möglicherweise hat er Kurt Bersch einschüchtern können, doch dies bleibt Spekulation.
Ein Mensch mit Haltung
Die Geschichte überlebte durch die Erzählung des Enkels, Jahrzehnte später. Er beschrieb Matthias Steeg als gradlinig, ehrlich und furchtlos. Entscheidungen wurden nicht aufgeschoben, sondern durchgezogen. Die Erinnerung an ihn war geprägt von Respekt und Bewunderung für einen Mann, der ohne große Worte das Richtige tat. Nach dem Krieg lebte er sein Leben weiter, als sei nichts Besonderes geschehen.
Auch Kurt Bersch überlebte den zweiten Weltkrieg. Bersch und Steeg wurden Gartennachbarn in einer Kleingartenanlage am ehemaligen Süchtelner Hallenbad. Sein Enkel beschrieb die stets angespannte Situation wie folgt:
Und hinten am Ende war denn auf der rechten Seite der Garten von Opa (…) und auf der linken Seite war der Garten von Kurt Bersch. Und der Opa grüßte den Kurt immer noch so, wie er ihn in der Nazi-Zeit begrüßt hatte: „Tag, Kurt“. Mehr nicht. Ich habe nie erlebt, dass die beiden einen einzigen Satz gesprochen haben. Wie man das so macht: „Wie jeht öt dich? Wat machen de Kartoffeln?“ Nichts! Gar nichts! Nur der höfliche Gruß und damit war Schluss.
Eine offizielle Ehrung erhielten Matthias Steeg und seine Frau nie. Aber ihr Mut und ihre Menschlichkeit verdienen es, erinnert zu werden.
Die Eheleute Steeg (Datum der Aufnahme unbekannt)
Für weiterführende Inhalte bitte auf die Bilder klicken
Haben Sie eine Geschichte zu erzählen? Dann melden Sie sich gerne direkt bei uns.
Diese Website nutzt Cookies um Ihr Nutzungserlebnis zu verbessern. Sie können die Cookie-Einstellungen hier wählen. Cookie-EinstellungenAkzeptieren
Datenschutz- und Cookie-Richtlinien
Privacy Overview
This website uses cookies to improve your experience while you navigate through the website. Out of these cookies, the cookies that are categorized as necessary are stored on your browser as they are essential for the working of basic functionalities of the website. We also use third-party cookies that help us analyze and understand how you use this website. These cookies will be stored in your browser only with your consent. You also have the option to opt-out of these cookies. But opting out of some of these cookies may have an effect on your browsing experience.
Necessary cookies are absolutely essential for the website to function properly. This category only includes cookies that ensures basic functionalities and security features of the website. These cookies do not store any personal information.
Any cookies that may not be particularly necessary for the website to function and is used specifically to collect user personal data via analytics, ads, other embedded contents are termed as non-necessary cookies. It is mandatory to procure user consent prior to running these cookies on your website.