Wilhelm Veit

Mutig, mitfühlend, unbeirrbar: Der evangelische Pfarrer Wilhelm Veit stellte sich dem NS-Regime in Dülken entgegen – mit gefährlichen Konsequenzen für sich selbst und seine Familie.

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Amtsantritt in dunklen Zeiten

Als Wilhelm Hermann Veit am 16. August 1936 seine Pfarrstelle in der evangelischen Gemeinde Dülken antrat, war der Nationalsozialismus längst zur staatlichen Realität geworden. Doch die kleine Gemeinde von etwa 1.100 Mitgliedern hatte sich der Bekennenden Kirche angeschlossen – ein Zeichen kirchlicher Selbstbehauptung gegen die Gleichschaltung durch die „Deutschen Christen“. Veit, 1908 im Taunus geboren, war fest in dieser innerkirchlichen Widerstandsbewegung verankert.

Zeitungsartikel vom 18. August 1936 zur Amtseinführung von Veit.

Schon kurz nach seinem Amtsantritt wurde deutlich, dass Veit sich nicht scheute, Position zu beziehen. Er verbreitete Schriften der Bekennenden Kirche – verbotenes Material, das am 7. März 1937 zur Hausdurchsuchung durch die örtliche Polizei führte. Die Gestapo und die NSDAP-Ortsgruppe beobachteten ihn fortan. Seine Berufung in das lokale Schulamt wurde vom Regierungspräsidenten aus politischen Gründen verhindert. Ein Kripobeamter und der NSDAP-Ortsgruppenleiter von Boisheim, zugleich Mitglied der „Deutschen Christen“, überwachten regelmäßig Gottesdienste.

Brennende Synagoge in Dülken

Ein Foto von Bedeutung

Trotz dieser Bedrohung hielt Veit Kontakt zur jüdischen Gemeinde in Dülken, deren Synagoge direkt gegenüber der Christuskirche lag.

Als in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 – während der sogenannten „Reichspogromnacht“ – der Feuerschein über der Stadt aufstieg, bestieg er den Turm seiner Kirche. Von dort aus konnte er die Flammen sehen, die aus der Synagoge schlugen – einem Ort, mit dem ihn mehr verband als bloße Nachbarschaft. Veit zögerte nicht und richtete seine Kamera aus. So hielt er fest, was nicht vergessen werden durfte: die Zerstörung eines Gotteshauses, das zum Angriffsziel eines hasserfüllten Regimes geworden war.

Die Entscheidung, in diesem Moment zu fotografieren, war keine spontane Geste – sie war Ausdruck seiner inneren Überzeugung. Wer so handelte, riskierte nicht nur seine Freiheit, sondern möglicherweise sein Leben. Es war ein Akt der stillen Anklage, des Widerstands – und der tiefen Solidarität mit seinen jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern.

Verbindung zur Familie Marx

Auch mit der Familie Marx, die in der Viersener Straße in der Nachbarschaft von Christuskirche und Pfarrhaus wohnte, pflegte Veit Kontakt. Als 1939 die 14-jährige Gisela Marx mit einem Kindertransport nach England ausreisen konnte, übergaben ihre Eltern Leopold und Erna Marx Pfarrer Veit einen Beutel mit Wertgegenständen zur sicheren Aufbewahrung. Nach dem Krieg bemühte sich Wilhelm Veit redlich darum, das Schicksal der Familie aufzuklären. 1946 erkundigte er sich in einem Brief explizit nach dem Verbleib von Gisela Marx:

Ich bitte Sie, mir zu helfen, den derzeitigen Aufentshaltsort der nachstehend genannten Person ausfindig zu machen. Es handelt sich um das einzige Kind jüdischer Nachbarn, das noch vor dem Krieg nach England (…) ausgewandert war. Die Eltern selbst wurden 1941 wahrscheinlich nach Theresenstadt verbracht. Sie haben seitdem mit mir keine Verbindung mehr aufnehmen können. (…)
Ich habe seinerzeit den Nachbarn Marx beigestanden und von ihnen für ihr Kind einen bestimmten Auftrag erhalten. (…) Ein Versuch durch einen Rechtsanwalt jüd. Bekenntnisses, Gisela M. zu finden, war bislang erfolglos. Ich sehe Ihrer Antwort entgegen.

Die Suche war erfolgreich: bei einem Besuch in den 1950er Jahren in Dülken übergab Veit Gisela die sorgsam aufbewahrten Erinnerungsstücke ihrer Familie.

Die Bemühungen des Pfarrers Veit führten schlussendlich dazu, dass er Gisela die ihm anvertrauten Gegenstände zurückgeben konnte.

Handeln ab 1942

Als 1942 die letzten fünf verbliebenen jüdischen Bürger Dülkens deportiert werden sollten, wich Veit nicht zurück: Am Vorabend versammelte er sich mit ihnen zu einer letzten gemeinsamen Gebetsstunde, lesend aus Psalm 23:

Und ob ich schon wanderte im finstern Tal,
fürchte ich kein Unglück;
denn du bist bei mir,
dein Stecken und Stab trösten mich.
Du bereitest vor mir einen Tisch
im Angesicht meiner Feinde.
Du salbest mein Haupt mit Öl
und schenkest mir voll ein.
Gutes und Barmherzigkeit
werden mir folgen mein Leben lang,
und ich werde bleiben
im Hause des HERRN immerdar.

An diesem Abend wurden Pfarrer Veit die Thorarolle und Kultgerät aus der zerstörten Dülkener Synagoge übergeben. Heute sind sie im Museumsteil der neuen Synagoge Krefeld auf der Wiedstraße ausgestellt.

Thora-Rolle der Gemeinde Dülken, heute in der Krefelder Synagoge auf der Wiedstraße aufbewahrt. (Foto: M. Guse)
Thora-Rolle der Gemeinde Dülken, heute in der Krefelder Synagoge auf der Wiedstraße aufbewahrt. (Foto: M. Guse)
Moderne Zeichnung von Pfarrer Veit in einem typischen Gewandt eines evangelischen Geistlichen der 1930er Jahre.
Moderne Zeichnung von Pfarrer Veit in einem typischen Gewandt eines evangelischen Geistlichen der 1930er Jahre.

Schicksalsschläge und Wirken nach 1945

Wilhelm Veit handelte nicht laut oder kämpferisch, sondern mit ruhiger Entschlossenheit. Sein Engagement war Teil des kirchlichen Widerstands, doch er ging über das bloße Bekenntnis hinaus – mitmenschlich, konkret, unter Lebensgefahr.

1942 wurde er zum Kriegsdienst eingezogen. Am 9. März 1945, kurz vor Kriegsende, geriet er an der Ludendorff-Brücke in Remagen unter Beschuss und wurde schwer verwundet. Sein linkes Bein musste oberhalb des Knies amputiert werden. Im Lazarett erreichte ihn die Nachricht, dass seine Frau Lore und zwei der drei gemeinsamen Kinder bei einem Bombenangriff ums Leben gekommen waren – eine persönliche Tragödie unermesslichen Ausmaßes.

Trotz dieses Schicksalsschlags kehrte Wilhelm Veit Mitte 1946 in seine Gemeinde zurück. Er predigte erneut in der Christuskirche – ein sichtbares Zeichen von Kontinuität und Versöhnung in einer Welt, die eben erst aus Trümmern aufzustehen begann. 1950 heiratete er erneut, die Pfarrerswitwe Elfriede Stehmann. Ein Jahr später wurde ihre gemeinsame Tochter geboren.

Im Rahmen des Entnazifizierungsverfahrens wurde Veit offiziell als politisch Geschädigter anerkannt.

Wilhelm Veit war kein Held im klassischen Sinn – aber ein Mensch, der selbst im Angesicht von Gefahr, Verlust und persönlichem Schmerz seinem Gewissen treu blieb. Seine Geschichte erzählt von leiser Standhaftigkeit, von Mitgefühl und von einer Hoffnung, die selbst in dunklen Zeiten nicht verstummte.

Die Geschichte der Familie Marx ist eng mit Pfarrer Veit verbunden. Heute erinnern Stolpersteine vor ihrem ehemaligen Haus auf der Viersener Straße an Leopold, Erna und Gisela Marx.

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